Kostenlose Kanban Anleitung
Autor: Carolin Metz - Lesedauer 6 Minuten
Große Lagerbestände – dieser Idee sagt Kanban den Kampf an. Entwickelt wurde die Methode 1947 von Taiichi Ohno für Toyota. Auf einer Insel wie Japan ist der Platz knapp – das macht umfangreiche Vorratshaltung teuer.
Also erdachte Ohno ein Konzept der kurzfristigen Disposition. Er orientierte sich dabei am Einkauf im Supermarkt: Wenn man dem Regal eine Ware bestimmter Art und Menge entnimmt, wird diese in genau entsprechender Art und Menge wieder aufgefüllt. Um das auf den Produktionsprozess zu übertragen, führt Kanban Karten ein, mit denen eine Abteilung der jeweils vorgelagerten signalisiert, was und wieviel produziert werden soll. Daher kommt auch der Name: Kanban bedeutet im Japanischen "Karte" oder "Tafel". Das System hatte in Japan schnell Erfolg und kam in den 70er-Jahren schließlich in die USA und nach Deutschland.
Nachschub per Kanban-Karte
Sobald der Lagerbestand einen vorher festgelegten Mindeststand unterschreitet, wird das mittels Kanban-Karte an die vorgeschaltete Abteilung oder das Lager gemeldet. Diese kümmern sich dann um Fertigung beziehungsweise Bereitstellung des zur Neige gehenden Materials. Dafür konsultiert der Mitarbeiter die Kanban-Karte, auf der die genaue Art und Menge des Artikels vermerkt ist, der benötigt wird. Ebenfalls notiert sind Artikelnummer, Angaben über Art und Füllmenge der Transportbehälter, Arbeitsanweisungen und die Nummer der Kanban-Karte. Das Material wird in einen Behälter gepackt, der an die anfordernde Abteilung geliefert wird, sobald die geforderte Menge erreicht ist. Das Ergebnis ist ein sich selbst steuernder Produktionszyklus, der keine zentrale Planung erfordert.
Wichtig ist, dass die Kanban-Regeln genau eingehalten werden, da das System ansonsten leicht aus dem Takt gerät. Die nachgelagerte Abteilung darf wirklich nur anfordern, wenn eine festgelegte Menge unterschritten wurde, und nicht mehr Material ordern als nötig. Es darf nicht auf Vorrat produziert werden.
Weniger Vorrat – weniger gebundenes Kapital
Das Ziel von Kanban ist es, Lagerbestände zu reduzieren und somit auch die Kapitalbindung zu senken. Dabei sollen natürlich die Lieferbereitschaft und die Qualität der Produktion weiterhin hoch bleiben, bei stark verringertem Planungsaufwand. Generell macht Kanban es möglich, flexibler zu reagieren: In zentralen Produktionssystemen wird der Materialbedarf an einer zentralen Stelle für alle Abteilungen geplant. Das führt dazu, dass man innerhalb einer Abteilung keinen Einfluss auf den Materialfluss hat und nicht flexibel auf veränderte Gegebenheiten reagieren kann. Bei Kanban hingegen bestimmen die einzelnen Produktionseinheiten selbst, wie viel Nachschub sie benötigen.
Sie möchten wissen, in welchen Unternehmen Kanban eingesetzt wird? In unserem Download-Produkt finden Sie Beispiele aus bekannten Firmen und Tipps zur Umsetzung.
So führen Sie Kanban im Unternehmen ein
Der Einsatz von Kanban in der Produktion ist relativ komplex und verlangt vom Unternehmen große Veränderungen. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das System weiter entwickelt und es sind verschiedene Adaptionen von Kanban entstanden: in der Softwareentwicklung, im Marketing, für die Projektsteuerung oder als persönliches Arbeitsinstrument als «Personal Kanban».
Hitoshi Takeda nennt sieben Voraussetzungen für Kanban:
- Produktion in einen einheitlichen Fluss bringen: Produkte standardisieren, Fertigung streng takten Losgrößen reduzieren
- Produktion glätten: keine unvorhergesehenen Schwankungen der Materialmengen
- Transportzyklen verkürzen und vereinheitlichen
- Kontinuierliche Produktion, um die Fertigungsstellen konsequent auszulasten
- Jede produzierende und verbrauchende Stelle braucht eine genaue Bezeichnung / Adresse
- Konsequentes Behältermanagement
- Außerdem muss bei der Produktion auf eine hohe Qualität geachtet werden, da durch die geringe Lagerhaltung kein Puffer für hohe Ausfallquoten vorhanden ist.
Kanban ist zudem nicht für alle Branchen und Produkte geeignet. Besonders passend sind Produkte mit hohem Wertanteil, bei denen sich die zu produzierende Menge relativ gut vorab abschätzen lässt – die Nachfrage sollte also nicht zu stark schwanken. Weniger geeignet ist Kanban für Produkte, die in vielen verschiedenen Varianten angefertigt werden, für Sonderanfertigungen und für häufige Produktänderungen. Die Produktionsstätten sollten relativ geringe Rüstzeiten aufweisen und die Mitarbeiter, die Kanban anwenden, müssen gut qualifiziert sein. Letztendlich ist Kanban also eine Methode für Reihenfertigung, nicht aber für Einzelproduktion.
Kanban in der IT
Den Begriff "Kanban" hört man auch oft im IT-Umfeld. Dabei werden allerdings nicht konkrete Kanban-Techniken adaptiert, sondern eher Konzepte aus dem Lean Management, dem Lean Development und dem Risikomanagement übernommen. David Anderson präsentierte 2007 zum ersten Mal das Gesamtkonzept "Kanban in der IT".
Auf einem Kanban-Board wird der gesamte Entwicklungsprozess von der Spezifikation bis zum Testing und der Inbetriebnahme visualisiert. Die Anforderungen (Tickets) werden auf Kanban-Karten notiert, auf dem Board angebracht und durchlaufen alle Stationen von links nach rechts. Die Anzahl der Tickets ist begrenzt – das führt zu weniger Multitasking und dazu, dass die einzelnen Aufgaben schneller erledigt werden können. Es handelt sich um ein Pull-System, bei dem sich die Entwickler die Aufgaben von der vorherigen Station "abholen", sobald sie Kapazitäten haben. Wichtig ist, dass relevante Größen wie Durchsatz und Zykluszeiten gemessen werden, um festzustellen, wie gut das System organisiert ist und wo noch Verbesserungspotenzial besteht. Engpässe werden zudem schnell auf dem Kanban-Board ersichtlich.
Außerdem werden alle Regeln klar und explizit festgelegt, damit jeder Mitarbeiter weiß, wann zum Beispiel ein Ticket als "fertig" gilt oder wann er sich das nächste Kanban-Kärtchen abholen kann. Anderson empfiehlt weiterhin, Denkmodelle und Konzepte zu verwenden, um Prozesse besser zu verstehen und damit optimieren zu können. Zudem soll Leadership auf allen Ebenen gefördert werden, damit sich die Mitarbeiter einbringen und Verbesserungsvorschläge machen. Ziel ist es, dass die Kanban-Karten beziehungsweise Tickets möglichst ohne Staus und Blockaden durch das System fließen – was diesen Flow behindert, muss kritisch analysiert werden.
Kanban in der Software-Entwicklung einzuführen ist deutlich einfacher als in der Produktion. Man benötigt ein Whiteboard oder entsprechende Software, mit der man das Kanban-Board organisieren kann. So unterstützt zum Beispiel das Ticketsystem Jira virtuelle Kanban-Tafeln. Aber natürlich handelt es sich um einen Veränderungsprozess, der den Mitarbeitern gut vermittelt und erklärt werden muss, damit sie damit arbeiten können.
Personal Kanban
Wem sein Chef freie Hand lässt oder wer als Selbstständiger arbeitet, entscheidet selbst, welches Thema er wann in Angriff nimmt. Unmöglich, weil das Tagesgeschäft den Blick aufs Wesentliche vernebelt? Nicht, wenn man eine Methode wie Personal Kanban anwendet und dabei ein paar Tipps berücksichtigt.
Um die Aufgabenflut im Griff zu behalten, gibt es unzählige Methoden und Tools: GTD, Things für OS und iOS, die ToDo-Verwaltung per E-Mail oder klassisch in einem Notizbuch.
Einige dieser Tools bieten Funktionen, um die Themen nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. In der Praxis stellt man immer wieder fest, dass mittel- und langfristige Aspekte zu wenig berücksichtigt werden, wenn dafür keine separate Methodik zum Einsatz kommt. Ein simples und effektives Instrument soll es sein, eines das sehr einfach umzusetzen ist und sich sehr gut bewährt: «Personal Kanban».
Wer Personal Kanban einsetzt,
- behält den Überblick über seine Projekte und Ziele (Vogelschau)
- schafft es, sich jeweils nur auf ein Thema zu konzentrieren (Fokus)
- ist sicher, dass die Tagesplanung sich am «Grossen» orientiert (Abstimmung)
Die drei Grundregeln des Personal Kanban:
- Jedes Thema (jeder Auftrag) bekommt eine Karte; alle Themen des Planungszeitraums werden auf dem Kanban Board aufgeführt.
- Der Prozess besteht im Wesentlichen aus 3 Teilprozessen: «zu erledigen», «in Arbeit» und «erledigt».
- Bei einem persönlichen Kanban-System kann (naturgemäss) immer nur ein Thema in Bearbeitung sein.
In 10 Schritten zum Personal Kanban
- Kanban-Board: Wähle zum Einstieg eine flexible, einfache Lösung: ein Whiteboard, ein Flipchart oder ein grosses Stück Papier (DIN A3, besser A2, Packpapier). So kannst Du Dein Board fortlaufend an Deine Bedürfnisse anpassen.
- Zeitraum: Lege einen Zeitraum für die Themen fest, der zu Deiner Tätigkeit passt. Bist Du unsicher, dann beginne mit einer rollierenden 4-Wochen-Planung. Du kannst den Zeitraum später immer noch anpassen.
- Haftzettel: Wähle eine Post-it-Grösse, die es möglich macht, auf Deinem Kanban-Board waagerecht 6 und senkrecht 5-6 Zettel zu platzieren. Besorge Dir Zettel in 3, maximal 4 Farben. (Alternative zu Post-it: stattys, elektrostatisch haftende Notizzettel, die sich bequem verschieben lassen).
- Raster: Zeichne das Raster auf: «zu erledigen» (2 Zettel breit), «nächste» (1), «in Arbeit» (1), «erledigt» (2), Wichtig: das Feld «in Arbeit» soll nur einen Zettel fassen können. Darunter platzierst Du den Block «wartet» (Details: siehe Foto).
- Farben: Lege die Farben der Haftzettel für die einzelnen Bereiche fest. Beispiel: rot für Kunden-Projekte, blau für interne Projekte, gelb für Administratives, grün für «für mich selbst».
- Weniger ist mehr: Der begrenzte Platz auf Deinem Board und die (wenigen!) Farben werden Transparenz schaffen und Dir zeigen, was das Wesentliche ist und wo Du die Priorität setzen musst.
- Papier oder Computer: Bleib in den ersten Wochen der Papiermethode treu und verzichte auf webbasierte Tools oder Smartphone- und Tablet-Apps, bis Du Dich an die Methodik von Personal Kanban gewöhnt hast.
- Das Grosse, nicht das Kleine: Denk dran: bei Personal Kanban geht es um die Vogelschau, um Transparenz, das Grosse. Details haben hier nichts verloren, die gehören in die ToDo-Liste.
- Leg los! Lege gleich los: Beschrifte die Zettel mit Deinen Projekten, Mandaten, persönlichen Themen. Wenn Du noch keine Haftzettel hast, dann halte die Themen vorläufig anderswo fest. Hauptsache: Du machst den ersten Schritt!
- Dran bleiben: Eine Umstellung von Gewohnheiten ist nie einfach und gelingt nicht von heute auf morgen. Lass Dich nicht entmutigen und bleibe dran. Es lohnt sich!
Fazit
Eine Aufgabenverwaltung ist wichtig, um das Tagesgeschäft im Griff zu haben. Sie ist aber nicht alles. Mindestens so wichtig ist es, sich den Blick fürs Wesentliche zu erhalten – das A und O im Selbstmanagement. Und dabei unterstützt das «Personal Kanban».
Wenn man Personal Kanban nur geringfügig erweitert erlangt mann mehr Erfolg bei der Flexibilität im Umgang mit neu eintreffenden Aufgaben. Auch kann mit den Änderungen ein Team Kanban aufgebaut werden.
Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass es mehrere Arten von To Dos gibt und man unterscheidet diese nach ihrer Dringlichkeit:
- Aufgaben, die unbedingt heute erledigt werden müssen (Genannt: TO DO HEUTE)
- Aufgaben, die wir heute bei genügend freier Zeit und viel guter Laune noch erledigen können (TO DO MÖGLICH)
- Aufgaben, die demnächst eventuell mal bearbeitet werden könnten (TO DO HORIZONT)
Das Team Kanban, das wirklich funktioniert!
- TO DO HEUTE (mit höchstens 5 Aufgaben)
- TO DO MÖGLICHKEIT (mit höchstens 20 Aufgaben)
- TO DO HORIZONT (theoretisch unbegrenzt)
- WARTET AUF (theoretisch unbegrenzt)
- IN ARBEIT (mit höchstens 2 Aufgaben)
- ERLEDIGT (unbegrenzt und archivierbar)
Kanban für Projektleiter: Jedem Projekt sein Kanban Board
Vielen ist Kanban zum unerlässlichen Tool für die Aufgabenplanung geworden, sei es nun für die persönlichen Aufgaben oder fürs ganze Team. Damit sind aber die Möglichkeiten von Kanban bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Im Projektmanagement können Kanban Boards für einzelne Projekte noch mehr Übersicht schaffen. Für Arbeiten, die entlang einer Prozesskette verlaufen, ist Kanban ebenfalls bestens geeignet.
Wir erläutern die Verwendung von Kanban Boards für die Projektleitung und –assistenz. Denn für mich persönlich haben sich Kanban Boards auch für die Projektarbeit bestens bewährt.
Projektaufgaben im Überblick
Kanban Boards sind ursprünglich dafür gemacht, Tasks zu überblicken und damit einen Workflow zu verbildlichen. Dem Kanban-Nutzer steht es jedoch frei, die Boards umzunutzen und mit mehreren Boards mehrere Projekte zu überwachen. Konkret: Anstelle eines Boards mit Aufgaben von mehreren Projekten (= gross und damit unübersichtlich) erstellt man ein Kanban für das Projekt X, eines für das Projekt Y, usw.
Dabei soll sich das grundlegende Schema für jedes einzelne Board aber nicht ändern:
Auf den Post-Its stehen die Aufgaben, mit zunehmender Dringlichkeit von links nach rechts. Zusätzlich können verschiedene Farben entweder Tasks (gelb), Sitzungen (blau) oder ganz Dringendes (rot) bedeuten.
Der Vorteil bei der Verwendung eines Boards pro Projekt liegt darin, dass man auf den Post-Its nicht vermerken muss, zu welchem Projekt ein Task gehört. Ausserdem kann man so ein Projekt, das gerade nicht so viel Beachtung benötigt, aus dem unmittelbaren Gesichtsfeld rücken: Einfach das Board nehmen und zur Seite stellen.
Prozessschritte vs. Projektaufgaben abbilden
Nebst Projekten arbeiten viele von uns auch mit fixen Prozessen. Kanban ist auch hier hilfreich: Wiederkehrend gleiche Arbeitsschritte können in einen Prozess-Kanban abgebildet werden. Die Post-Its stellen Aufgaben dar, die dem jeweiligen Prozessschritt (Spalte) zugeordnet werden.
Nehmen wir an, ein Team organisiert alle Messen und Events eines Unternehmens. Die Arbeitsschritte bis zur Messeteilnahme inkl. Nachbearbeitung verlaufen entlang einem Prozess, der sich in einem Kanban Board abbilden lässt:
Fazit
Die Kanban-Methode ist ein sehr flexibles und umbaufähiges Konzept. Arbeitsschritte, Projekte und Prozesse lassen sich problemlos in ein übersichtliches Schema fügen. Das Schöne an Post-Its ist ihre Verschiebbarkeit. Diesen Vorteil nutzen Kanban Boards in vielen Bereichen. Je nachdem, welche Aufgaben ein Team erledigt, machen andere Spaltenbeschriftungen Sinn.