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Industry 4.0: Die Fabrik der Zukunft

Stufen der industriellen Revolution

Der Begriff Industry 4.0 bezeichnet die vierte Stufe der industriellen Revolution.

Mit ihr soll eine Phase der Neuorientierung in den industriellen Prozessen beginnen, die ein weiteres Mal einen enormen Produktivitätsschub bringt. Die Bezeichnung als Revolution ist aber übertrieben; es sind eher evolutionäre Prozesse, die zu einer neuen Produktionsweise führen.

Ralf Wienken ist technischer Redakteur und verantwortlich für den Bereich technische Kommunikation der Xinfo Wieland Sacher GmbH.

Industry 4.0 ist ein gern benutzter Begriff, wenn es darum geht, die Zukunft der deutschen Industrie zu beschreiben. Er deutet an, dass eine Umwälzung der Produktionsprozesse stattfinden wird, die so tiefgreifend ist, dass man diesen Vorgang als Revolution betrachten kann. Zudem spielt auch wohl die Unterstützung durch die Bundesregierung bei der Beliebtheit des Begriffs eine Rolle, die Forschungsprojekte in dieser Richtung finanziell fördert.

Nun gibt es einige beteiligte Personen, die nicht glücklich mit dem Begriff Industry 4.0 sind, die aber die wesentlichen Prinzipien verteidigen. Schauen wir uns einmal an, was eine industrielle Revolution ist, und ob die auffindbaren Kriterien genügen, um eine weitere Revolution auszurufen.

Industrielle Revolutionen

Etwa ab Ende des 18. Jahrhunderts begann in England die europäische industrielle Revolution. Sie fand in mehreren Stufen statt, die jedes Mal enorme technische und soziale Umwälzungen mit sich brachten. Wegen dieser starken Umwälzungen ist die Bezeichnung als Revolution gerechtfertigt, denn es blieb buchstäblich kein Stein auf dem anderen. Wir leben momentan in einer Welt, die sich ein Mensch des 18. Jahrhunderts nicht einmal hätte vorstellen können. Und es sieht sogar so aus, als ob sich das Tempo der Veränderungen heute noch weiter beschleunigt.

In der ersten Stufe der industriellen Revolution wurde die menschliche Arbeit mechanisiert und in Fabriken verlagert. Aus dieser Zeit kennen wir die negativen Folgen der Veränderungen, die damals stattfanden: Verelendung, Arbeitslosigkeit und schlechte Arbeitsbedingungen waren weit verbreitet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte die zweite Stufe, die die arbeitsteilige Massenproduktion durch Elektrifizierung mit sich brachte. Dadurch wurde es möglich, Konsumgüter billig herzustellen und für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich zu machen. Die dritte Stufe hatte ihren Ursprung in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Sie bestand aus der Automatisierung der Produktionsprozesse durch den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung.

Die nächste Stufe

Gegenwärtig erleben wir den Beginn einer weiteren Umwälzung, die - wie die Stufen zuvor - ganz neue Produktionsprozesse und Formen der Zusammenarbeit mit sich bringen soll. Sie ist dadurch definiert, dass eine zuvor nicht gekannte Integration von Hardware, Software und menschlicher Arbeitskraft stattfindet. Dies ist eine neue Qualität, die es vorher nicht gab. Man nennt das Industrie 4.0 (weil es die vierte große Stufe der industriellen Revolution ist), die in Integrated oder Smart Factories stattfindet.

Das hauptsächliche Kennzeichen der neuen Produktionsweise ist, dass Maschinen und Produkte in sogenannte Cyber Physical Produktion Systems (CPPS) verwandelt werden. Das heißt, dass sämtliche Beteiligten am Produktionsprozess untereinander und mit dem Internet vernetzt sind und miteinander kommunizieren können. Sie sind über Software mit einer Eigenintelligenz ausgestattet und vertikal eng mit dem Planungs-System (ERP) verbunden. Es gibt damit eine dezentrale Intelligenz auf den unteren Ebenen der Produktion (im Sensor, im Produkt, im Aktor), die innerhalb der vorgegebenen Regeln eigenständig Entscheidungen treffen kann. CPPS sind also eine Technologie der dritten Stufe der globalen Vernetzung, in der die Maschinen Teil des Internets der Dinge werden.

Die Produkte beispielsweise kennen ihre Historie und die nächsten Schritte in der Produktion, so dass sie selbstständig den günstigsten Weg bis zur Endfertigung finden – immer überwacht vom übergeordneten Softwaresystem. Bei Problemen mit einer Fertigungsmaschine können sie eine andere suchen, die den Prozess fortsetzt. Sensoren melden durchgehend ihre Messwerte zur Erstellung von Auswertungen an das übergeordnete System, so dass zu jeder Zeit ein vollständiges virtuelles Abbild der Vorgänge in der Fabrik zur Verfügung steht, zusammen mit allen denkbaren statistischen Evaluationen.

Die hier beschriebenen Prinzipien einer Integrated Factory werden auch außerhalb der Fabrik angewendet. Die Lieferkette, die wir heute kennen, wird zu einem sich selbst organisierenden Supply-Netzwerk, das ohne zentrale Steuerung funktioniert. Sowohl Zulieferer als auch Kunden sind über genormte Schnittstellen in das Gesamtsystem eingebunden.

Auf diese Weise erobert das Internet der Dinge auch die Fabriken. Dabei hat die Software einen wesentlich höheren Anteil an der Wertschöpfung als früher. Die Produktion wird zu großen Teilen von Programmen gesteuert, nicht mehr von der Hardware. Man muss deshalb zum Beispiel nicht mehr größere Umbauaktionen durchführen, wenn am Produkt etwas geändert wird, denn die Fertigungsmaschinen sind von vorne herein für mehrere Varianten oder sogar für mehrere Produkte ausgelegt.

Die neue Produktionsweise in Deutschland

Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau ist weltweit Marktführer bei der Ausrüstung von Fabriken und sonstigen Fabrikationsstätten. Er ist bekannt durch guten Service, Qualität der Produkte und Einhaltung von Lieferzeiten. Das ist der Grund dafür, dass ein Hochlohnland wie Deutschland auch in der aktuellen Krise vergleichsweise gut da steht und immer wieder neue Exportrekorde aufstellt. Es ist fast ein zweites kleines Wirtschaftswunder.

Auf die Dauer wird das aber nicht reichen; Ausruhen ist nicht möglich. Die deutsche Industrie steht nach wie vor in Konkurrenz mit anderen Anbietern, insbesondere aus Asien. Dabei geht es um Arbeitskosten, Geschwindigkeit, Flexibilität und Qualität, die entscheidende Parameter in der Produktion sind. Asiatische Hersteller erreichen Geschwindigkeit und Flexibilität durch niedrige Arbeitskosten und manchmal geringere Qualität. Dies ist in Hochlohnländer wie Deutschland nicht möglich, weshalb wir unseren noch existierenden Vorsprung auf anderen Wegen sichern müssen.

Hier genau liegt der Punkt, warum Industry 4.0 gerade in Deutschland Thema ist, und auch von der Bundesregierung gefördert wird. Durch die neue Produktionsweise können hochkomplexe Abläufe dezentral gesteuert werden. Dadurch entsteht eine robuste und fehlertolerante Fabrikation, die einhergeht mit starker Individualisierung der Produkte bei sehr hoher Produktivität. Auch kleine Stückzahlen lohnen sich, da die Fertigungsmaschinen nur durch einen Softwareschalter das Produkt abwandeln können, und die Kosten trotzdem gering bleiben. Zudem kann der Kunde noch im Produktionsprozess Änderungen einbringen, was ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal ist.

Vieles muss sich ändern…

Kann man nun Industry 4.0 als Revolution bezeichnen? Um es gleich zu sagen: nein. Es gibt weder eine völlig neue Qualität der Produktionsweise, noch sind gesellschaftliche Veränderungen erkennbar, die so stark sind, dass sie alle Bereiche des Zusammenlebens beeinflussen.

Die Entwicklung erfolgt eher evolutionär. Ich sehe nur Weiterentwicklungen von schon Vorhandenem. Die Fertigungsmaschinen werden immer weiter verfeinert und immer flexibler, aber es ist wie der Unterschied zwischen einem Ford T-Modell und einem modernen Lamborghini. Es liegen Welten dazwischen, aber es ist immer noch das gleiche Prinzip.

Auch die Software enthält nichts wirklich Neues. Sie mag von außen intelligent erscheinen, aber in Wirklichkeit wird sie niemals selbst entscheiden, was zu tun ist. Denn wenn es so aussieht, als ab sie selbst entscheidet, dann hat der Mensch sie vorher so gestaltet, dass sie das sinnvoll machen kann. Er hat ihr Freiheitsgrade einprogrammiert. Dadurch wird die Maschine aber nicht frei. Sie ist einfach nur eine Maschine, die funktioniert, wie der Mensch ihr das sagt, auch wenn es so aussieht, als ob sie eigenständig den besten Weg eines Werkstücks durch die Fabrik findet.

…damit alles gleich bleibt

Wenn die Revolution nun doch nicht stattfindet, ist damit ist nicht gesagt, dass die beschriebenen Prinzipien nicht gefördert werden sollten. Sie wären ein Segen für die deutsche Industrie und würden den momentan vorhandenen Wettbewerbsvorteil mit Sicherheit bis weit in die zwanziger Jahres dieses Jahrhunderts ausdehnen. Das ist genau das, was alle wollen: den bestehenden Zustand weiter verlängern.

Insofern mag die Rede von Industry 4.0 sogar angebracht sein, um schon im Keimstadium der Entwicklung einen plakativen Begriff zur Verfügung zu haben. Aber eine Revolution ist es nicht.

Ralf Wienken ist technischer Redakteur und verantwortlich für den Bereich technische Kommunikation der Xinfo Wieland Sacher GmbH. Ein wichtiges Arbeitsgebiet des Unternehmens ist die Entwicklung von Applications für den industriellen Bereich.

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