3. Differenzierung zwischen Tatsachen und Prognosen

Eine Täuschungshandlung und eine Verletzung von Aufklärungspflichten durch Unterlassen können sich theoretisch einerseits auf Tatsachen und andererseits auf Prognosen beziehen. Dies ist die nächste Differenzierung in Fallgruppen, die vorgenommen werden muss. 

Die meisten Gerichtentscheidungen betrafen Täuschungen über Tatsachen. Es ist z.B. eine Tatsache, ob in einem Franchise-System eine bestimmte Zahl von erfolgreichen Franchise-Nehmern, ein bundesweites Netz von Master-Franchise-Nehmern oder ein bestimmtes Know-how vorhanden sind.

Insbesondere für die Fallgruppe der Aufklärungspflichten wird von der Literatur außerdem angenommen, dass sich diese Pflichten des Franchise-Gebers auf weitere Standardtatsachen beziehen, etwa auf die Schulungsmaßnahmen, auf gewerbliche Schutzrechte, auf die bisherige Franchise-Nehmer-Fluktuationsrate und auf die Entwicklung des Franchise-Systems.

In der Fallgruppe der Täuschungen kommen weitere Tatsachen in Betracht, wenn diese im Einzelfall für die Investitionsentscheidung des Franchise-Nehmers von ausschlaggebender Bedeutung sind, z.B. der Zugang zu den Kollektionen bestimmter Hersteller, die Konkurrenzsituation in der Branche oder das Vorhandensein von Kunden im späteren Vertragsgebiet.

Das Problem besteht im Bereich der Prognosen. Franchise-Geber geben regelmäßig vor Abschluss eines Franchise-Vertrages Prognosen hinsichtlich Umsatz- und Gewinnzahlen oder Investitions- und Finanzbedarf von Franchise-Betrieben ab. Dies geschieht z.B. in allgemeinen Informationsunterlagen über das Franchise-System oder in individuellen Umsatz- und Rentabilitätsplanungen.

Es wird einerseits häufig verkannt, dass eine Haftung des Franchise-Gebers für Prognosen nicht allein deshalb eintritt, weil sich die prognostizierten Zahlen in dem Einzelfall des Franchise-Nehmers nicht verwirklicht haben. Dies ist nämlich das Prognoserisiko, das sich als Spiegelbild des unternehmerischen Risikos des Franchise-Nehmers darstellt und ausschließlich von ihm zu tragen ist.

Andererseits wird unter pauschalem Hinweis auf das "allgemeine unternehmerische Risiko des Franchise-Nehmers" übersehen, dass der Franchise-Geber im Zusammenhang mit derartigen Prognosen durchaus Haftungsrisiken ausgesetzt sein kann. Dieses Mißverständnis wird durch eine Mindermeinung genährt, die das "Aufina" Urteil des OLG München dahingehend interpretiert, dem Umsatz- und Rentabilitätsplanungen des Franchise-Gebers (in dem Urteil werden die Prognosen als "Plan-Zahlenwerke" bezeichnet) könne generell und von vornherein keine haftungsbegründende Funktion zukommen.

Diese Interpretation ist ersichtlich falsch. Wäre sie richtig, stünde das "Aufina" Urteil im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BGH hinsichtlich der sachlichen Anforderungen an Prognosen und zu den Urteilen anderer Obergerichte zur Franchise-Geber-Prognosehaftung. Tatsächlich besteht jedoch kein Widerspruch. Die ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen des OLG München in dem "Aufina" Urteil waren allerdings missverständlich. Durch die jüngste Entscheidung hatte das OLG München nun die Gelegenheit, dieses Mißverständnis in einem wesentlichen Teilaspekt zu beheben.

Die Haftung für Prognosen, für Umsatz- und Rentabilitätsplanungen ("Plan-Zahlenwerke") tritt demnach ein, wenn die Prognosezahlen auf keiner nachvollziehbaren, realistischen Grundlage basieren.

In dem Sachverhalt, der dem "Personal Total" Urteil zugrunde liegt, waren die Prognosezahlen von den vermeintlichen Erfahrungen eines Pilotbetriebes abgeleitet worden. Der Franchise-Geber hatte auf den Pilotbetrieb abgestellt und behauptet, dort würden bestimmte Personalvermittlungszahlen und - daraus hochgerechnet - bestimmte Umsatzzahlen erreicht. Diese vermeintlich "echten" Zahlen dienen als Grundlage für die Prognose. Bereits die Personalvermittlungszahlen des Pilotbetriebes erwiesen sich als falsch. Diese Täuschung über Prognosegrundlagen führte sogar zu einer deliktsrechtlichen Haftung, ähnlich wie in einer Entscheidung des LG Hannover.

Daraus ergibt sich: Wenn die Aufklärungsinformationen von echten Zahlen (z.B. Pilotbetrieb, aktive Franchise-Nehmer) abgeleitet werden, muss deren Widergabe wahrheitsgemäß sein. Dies ist im Grunde nichts anderes als die Widergabe von Tatsachen, nämlich von den Tatsachen, die der Prognose zugrunde liegen. In diesem Bereich bestehen also erhebliche Haftungsrisiken für den Franchise-Geber, weil zugleich verlangt wird, dass die Prognose überhaupt von irgendeiner Wirklichkeit abgeleitet ist.

Auf dieser Erkenntnis aufbauend lässt sich im Einklang mit der Rechtsprechung Folgendes feststellen:

  • Wird eine Prognose auf angebliche "Durchschnittszahlen" der Franchise-Betriebe gestützt, kann es zu einer Prognosehaftung kommen, wenn es sich entgegen der Darstellung tatsächlich nicht um den Durchschnitt handelt, sondern die Zahlen der erfolgreichsten Betriebe.
  • An einer realistischen Prognosegrundlage fehlt es auch, wenn Prognosezahlen genannt werden, die in Wirklichkeit von Franchise-Nehmern nur in wenigen Ausnahmefällen erreicht wurden, wenn der Eindruck erweckt wird, diese Zahlen seien "im Normalfall" oder "bei typischem Verlauf" oder für den "durchschnittlichen Franchise-Nehmer" erreichbar.
  • Die Haftung für Prognosen kann demnach auch eintreten, wenn die Plan-Zahlenwerke gegen Erfahrungsgrundsätze und tatsächliche Erkenntnisse des Franchise-Gebers verstoßen.

Diese Fallkonstellationen haben gemeinsam, dass die Haftung allein an die Prognosegrundlagen anknüpft, also an Tatsachen. Daneben verlangt die Lehre - und dies ist bislang unstrittig - dass Prognosen grundsätzlich überhaupt von tatsächlichen (und aktuellen) Zahlen abgeleitet sein müssen.

Das Haftungsproblem kann also aus Sicht des Franchise-Gebers nicht dadurch gelöst werden, dass von vornherein auf Zahlen zurückgegriffen wird, die nicht aus der Wirklichkeit abgeleitet wurden. Jenseits dieser Fallkonstellationen besteht allerdings eine Haftung des Franchise-Gebers für Prognosezahlen nicht.

 

 

Dr. Patrick Giesler (Stand: Dezember 2004), www.franchiserecht.de

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