Zugegeben: Das ist eine nicht alltägliche Situation. Oder doch? Wie oft geschieht es, dass wir schnell handeln und entscheiden müssen! In unserer immer schneller werdenden Welt mit ihren fast überall präsenten Kommunikationsmedien sind wir häufig gezwungen, schneller zu reagieren als wir eigentlich wollen.
Kein Schreckensgespenst: Improvisieren
Improvisieren verbinden viele mit Dilettantismus, mit irgendwie zusammengeklebten Stücken – anstatt sie gut und endgültig zu verschrauben – mit Stümperei.
Ist das wirklich so? Wenden wir uns einfach mal einem ganz anderen Gebiet zu: Der Kunst, der Musik, dem Theater. Und schon bekommt das Wort Improvisation eine ganz andere Qualität.
Wer je einem Improvisationstheater zugeschaut hat, weiß, was für eine Herausforderung diese Art des Schauspiels ist. Viele Zuschauer können es zunächst meist gar nicht glauben, dass die gespielten Szenen nicht verabredet, sondern gerade eben – spontan – aus dem Nichts entstanden sind. Aber entstehen diese Szenen wirklich aus dem Nichts? Nein, denn die Kunst der Improvisation im Theater will gelernt sein. „Halt!“, höre ich jetzt so manchen rufen, „wir sind doch keine Schauspieler! Und wollen es auch nicht werden!“ Doch vielleicht können wir von den Schauspielern ein wenig lernen.
Lernen Sie „Ja“ zu sagen
Schauen wir uns an, was das Improvisieren auf der Bühne ausmacht. Der wichtigste Punkt – und das, was die Schauspieler als erstes lernen – heißt: Ja sagen! Ja sagen, …
- zum Thema, zu dem improvisiert wird.
- zum Spielangebot, das der Mitspieler macht.
- zum kreativen Umgang mit der Spielszene.
Auf keinen Fall dürfen Sie sich selbst oder die anderen blockieren.
Hat der Schauspieler die Stufe des Ja-Sagens erreicht, dann stellt er fest, dass die ersten Ideen, die er hat, fast immer die besten sind. Diese führen nämlich zu spannenden und witzigen Szenen.
Durch den Erfolg lernt der Schauspieler, dass er sich voll und ganz auf sich selbst verlassen kann. Dieses Selbstvertrauen macht ihn wiederum besser in seinem Spiel. Die Aufwärtsspirale nimmt ihren Lauf.
Drei Phasen durchleben
Sie Versuchen wir nun, diesen Ansatz auf unser berufliches Alltagsleben zu übertragen. Nehmen wir Herrn Klein aus dem Beispiel und sehen zu, was passiert: Die erste Reaktion auf eine ungewohnte Situation ist Angst. Er ist entsetzt, versteht nicht, warum seine Sekretärin ihm das gerade jetzt antut. Er überlegt, was er ihr im Gegenzug alles antun kann und beschließt einfach abzubrechen. Aber wie steht er dann da? Seine Gedanken kreisen nur noch um das eigene Ansehen. – Der klassische Fall einer Blockade. Unser Gehirn arbeitet auf Hochtouren, aber leider an den falschen und gerade völlig unnötigen Dingen. Nennen wir diese Phase des Improvisierens die Ablehnung.
Ist unser Redner ein wenig souveräner, so blättert er zurück und überlegt mit steigender Verzweiflung, an welchen Stellen in seinem Manuskript etwas steht, das er jetzt zusammenfassen kann. Er sucht und sucht, findet ein paar Worte und bringt seinen Vortrag irgendwie zu Ende, indem er noch einmal abliest, was er bereits vorgelesen hat. Er passt sich an die Situation an, allerdings ohne sie tatsächlich zu gestalten.
Folglich nennen wir diese Phase des Improvisierens die Anpassung.
Hat unser Chef das aber wirklich nötig? Nein! Denn auch wenn er den Vortrag nicht selbst geschrieben hat, so ist er doch der Chef des Unternehmens und sollte – zumindest so ungefähr – wissen, wovon der Vortrag handelt. Also wirft er sein Manuskript beiseite und beginnt vollkommen frei zu reden. Und während er spricht, fallen ihm die richtigen Worte ein. Er vertraut darauf, denn die Fakten seines Vortrags kennt er ja.
Dies nennen wir die Phase der Gestaltung.
Lernen Sie zu improvisieren
„Das klingt in der Theorie ja ganz nett“, höre ich Sie sagen, „aber in der Praxis …“. Doch genau in diesem Moment passiert der erste Fehler. Vergessen Sie das „Aber“. Sagen Sie erst mal „Ja!“. Und dann?
Das Schöne am Improvisieren – wir nennen es jetzt einfach mal Situationsmanagement – ist, dass wir es erlernen können. Durch eine große Anzahl von Übungen, deren Erkenntniswert sehr hoch ist und die darüber hinaus auch noch Spaß machen. Eine von diesen stelle ich Ihnen vor.
Kleine Übung:
Die fortlaufende Rede
Fünf Personen stehen nebeneinander. Ihre Aufgabe ist es, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Der Trainer oder Moderator gibt die Überschrift der Geschichte bekannt, zeigt auf einen der fünf – und los geht es. Bereits nach kurzer Zeit zeigt der Trainer auf eine andere Person und diese macht in der Geschichte genau dort weiter, wo der erste Erzähler aufgehört hat. Dieser Wechsel kann sogar mitten im Wort geschehen. So geht es weiter und am Ende kommt eine sicher chaotische, aber meist recht witzige Geschichte zusammen.
Als Teilnehmer werden Sie feststellen, dass Sie zunächst versuchen zu überlegen, wie die Geschichte weiter gehen kann. Sie versuchen witzig zu sein, Ihre eigenen Gedanken fortzuführen, falls die anderen Erzähler Ihrem roten Faden nicht gefolgt sind. Dies sorgt aber leider dafür, dass die Geschichte nicht wirklich rund läuft, dass sie langweilig ist, bemüht wirkt.
Doch mit der Zeit lernen Sie loszulassen: Sie …
- denken nicht mehr nach.
- wollen nicht mehr der Witzigste sein.
Und plötzlich bekommt die Geschichte einen ganz anderen Drive! Sie wird spannend, zum Brüllen komisch, hat auf einmal eine richtige Handlung – kurz: Diese improvisierte Geschichte hätten Sie sich niemals so ausdenken können – glauben Sie jedenfalls. Was aber wirklich passiert ist: Sie haben nach der Ablehnung und der Anpassung die Phase der Gestaltung erreicht.
Martin Doll ist Autor, Regisseur und Dozent für Kommunikationstraining.
COACHING ist der monatliche Praxis-Ratgeber für Führungskräfte und Manager.