Zwei Mütter teilen sich eine Abteilungsleitungsstelle. Eine Familie geht nur auf dem regionalen Markt einkaufen. Statt weiter in der Karriereleiter aufzusteigen, erfüllt sich ein erfolgreicher Manager seinen Lebenstraum: die Weltumseglung. Seinen Unterhalt verdient er sich durch Jobs unterwegs.
Alles Zukunftsmusik? Und vor allem sind das schon nachhaltige Lebens- und Arbeitsstile?
JA sagen die einen und NEIN sagen die anderen.
In diesem 1. Teil der Beitragsreihe möchte ich genau hinschauen und fragen, wo wir in Deutschland stehen und wie wir den Schalter im Kopf zu mehr Nachhaltigkeit in unserem Leben und Arbeiten umlegen können.
Nachhaltigkeit als natürlicher Kreislauf
Schauen wir doch gleich am Anfang hin, was eigentlich unter diesem großen Begriff der Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Der Begriff bedeutet im ursprünglichen Wortsinn „längere Zeit anhaltende Wirkung“ und als entlehntes forstwirtschaftliches Prinzip „es darf nicht mehr Holz gefällt werden, als jeweils nachwachsen kann“.
Wie wirkte sich das nun auf den Lebens- und Arbeitsstil der Menschen aus? Die natürliche Kreislaufwirtschaft funktionierte bis zur Industrialisierung im 19. Jh. und der damit einhergehenden künstlichen Aufteilung der Arbeitsabläufe. Prozesse wurden nicht mehr im Ganzen erledigt, sondern folgten dem Gesetz der Massenproduktion und seinem effizienten Arbeitsablauf mit „the one best way“.
Konnten früher noch die Schweine und der natürliche Zersetzungsprozess im Tier- und Pflanzenreich den Abfall wieder in den Kreislauf einbinden, war das mit der „Chemisierung des Mülls“ vorbei.
Industrielle Revolution als Technisierung natürlicher Kreisläufe
Sie merken unsere Lebens- und Arbeitswelt hat sich seit dem Eingreifen der Menschen mit dem Wunsch nach Fortschritt immer mehr verändert. Doch diese Kultur der Leistungsgesellschaft mit ihrer Technikgläubigkeit hat das erste Mal 1986 weltweit einen Knacks bekommen mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl, Russland. Den zweiten Knacks bekam die Welt mit Fokushima, Japan. Zu der Vergleichbarkeit der beiden Super-Gaus befragt, sagt der Risikoforscher Ulrich Beck: „In der Tat, die großen Krisen schienen seitdem weitgehend dem Drehbuch der "Risikogesellschaft" zu folgen. Die herausragenden Beispiele sind der Tsunami in Indonesien, die Katrina-Überflutung von New Orleans, aber auch der Rinderwahnsinn, die Schweinegrippe; selbst die Finanzkrise von 2008 gehört dazu. Allen Krisen war gemeinsam, dass sie vorher als kaum vorstellbar galten. Jedes Mal war darum der bisherige institutionelle und kognitive Erwartungsrahmen überholt. Das Makabre der jetzigen Katastrophe ist, dass sie sich in einem grusligen Wettbewerb der Großrisiken ereignet. Viele glaubten ja, dass sich das Risiko des Klimawandels durch vermehrten Einsatz von umweltfreundlicher Kernenergie ersetzen lässt.“ (Quelle: „Ein strategischer inszenierter Irrtum“, Interview mit Ulrich Beck in Süddeutsche Zeitung 14. März 2011)
Sie merken, die Risiken haben sich deutlich verändert seit der Agrargesellschaft. Doch was können wir tun, um etwas zu verändern?
Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) oder kommerzielle Märchenstunde?
Eigentlich schien es so, dass bereits mit den LOHAS ab 2000 die Geburtsstunde eines neuen nachhaltigen Lebens- und Arbeitsstils angebrochen ist. LOHAS haben die Alt-68er mit Birkenstocks und Antiatomkraftbewegung abgelöst. Die Kultur der LOHAS ist geprägt von Gesundheitsbewusstsein und -vorsorge, sowie der Ausrichtung nach Prinzipien der Nachhaltigkeit eines neuen Lebens. Die Folge war die Rückkehr zur ökologischen Landwirtschaft, Gründung von Bioläden und Forderungen von fair- und nachhaltig produzierten Produkten. So entstand ein neuer Markt, der bisher noch gar nicht bedient worden war: Kaufkräftige, hochgebildete Käufer aus der Mittelschicht, die über die nötigen Mittel verfügten, sich ein besseres, gesünderes Leben zu kaufen. Selbstverständlich gab es parallel Studien zu diesem Prozess. Die Ergebnisse zeigten, dass sich 90 Prozent der Befragten für ethischen Konsum interessierten, 82 Prozent so viel oder mehr Geld für moralisch veredelte Produkte ausgeben wie vor der Wirtschaftskrise und 65 Prozent wollen sich solche noch mehr kosten lassen. Doch wenn es ums konkrete Handeln geht, sieht es schon anders aus: 88 Prozent der Befragten wissen, dass sie mit ihrem Konsumverhalten Teil des Problems sind. Aber nur 25 Prozent der Befragten wollen ihr Konsumverhalten wirklich ändern. (vgl.Die Studie steht hier zum Download.).
Verzicht oder kulturelle Revolution als Lösungsweg?
Nachdem nun die LOHAS zwar einen wichtigen Bewusstseinsstand haben, braucht es Wege, die helfen, auch für das Tun den „Schalter im Kopf“umzulegen. Michael Braungart, Leiter des Hamburger Umweltinstituts sagt dazu: „Das Ziel der „Nachhaltigkeit“ ist angesichts von Klimawandel und Ressourcenknappheit, von giftigen, gesundheitsgefährdenden Materialien und falschen linearen Produktionsprozessen viel zu niedrig gesteckt. Nachhaltigkeit, so wie wir sie heute verstehen, bedeutet Verzicht und Einschränkung, bedeutet, weniger schädlich zu sein. Weniger Auto fahren, weniger Strom zu verbrauchen, weniger konsumieren. Doch das ist für höchstens eine passable Übergangsidee hin zu einem Design-, Kultur- und Gesellschaftskonzept, in dem wir positive Ansätze formulieren. Nicht weniger schädlich, sondern nützlich zu sein heißt das Ziel.“ Ein radikaler Ansatz. Und auch wenn nicht an dieser Stelle werden wir doch in dieser Reihe in den noch folgenden Beiträgen wie „Mehr als Tisch und Stuhl – Veränderte Ansprüche“ und „ Second-hand - Ressourcenschonung, Wiederverwertung und PCF (Produkt Carbon Footprint)“ auf das braungartsche Kreislaufdenken zurückkommen.
Revolution der Produktentwicklung
In Bezug auf Lebens- und Arbeitsstile möchte ich Michael Braungarts Ausblick auf eine Chance für eine kulturelle Entwicklung kurz anreißen. Der gelernte Chemiker zeigt auf, dass die Mechanismen unserer Gesellschaft, die Grundsätze unserer politischen Systeme und „Verzicht-Interpretation der Nachhaltigkeit“ uns zurücklässt, mit dem Gefühl schlecht zu sein. Und wir uns anstrengen und einen entbehrungsreichen Lebens- und Arbeitsstil führen müssen. Die Schlagworte aus der Presse wie „Lohnverzicht bringt Wohlstand für alle“ und „Weniger Energieverbrauch für Kostenersparnis und längere Rohstoffverfügbarkeit“ etc. kennen wir nur zu gut als Bedingung für einen positiven ökologischen Fußabdruck. Doch Braungart verfolgt als Verfahrenstechniker und Unternehmensberater in seinen weltweiten Aufträgen und Vorträgen einen anderen Ansatz: Es braucht eine Revolution der Produktentwicklung, bei der das Recycling schon immanent ist. Auch setzt er auf Leasing statt kaufen. „Statt einer Waschmaschine kaufen wir in Zukunft 3000 Mal Waschen.“ Sie merken wir nähern uns einer Kulturrevolution.
Und doch merken wir alle, dass diese Kulturrevolution immer mehr Realität wird. Zwar lesen wir in den Medien vermehrt von Angeboten wie Carsharing oder Jobsharingangeboten, aber das ändert unser Konsumverhalten kaum. Das Wachstum von Geschäftsmodellen, die auf gemeinschaftlichen Konsum basieren, wie „sharing, swapping, lending“ (Teilen, Tauschen, Leihen) sind oft eine Ausnahme.
Dennoch merken wir, es bewegt sich an vielen Stellen etwas bei den deutschen Lebensstilen. Sechs psychische Ressourcen unterstützen den kulturellen Wandel: Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinngebung und Solidarität. Diese können in Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Not-Profit-Organisationen oder auf der Ebene des Gemeinwesens gefördert werden.
Deshalb mein Aufruf zum Abschluss: Macht weiter in eurer Veränderung oder fangt an auszuprobieren, legt den Schalter im Kopf um.