Zügige und zugleich gute Entscheidungen sind für jedes Unternehmen lebensnotwendig. Sie sind die Voraussetzung für den Erfolg. Wie man in turbulenten Zeiten die Entscheidungsgüte erhöht und zugleich die Entscheidungsgeschwindigkeit steigert, darum geht es in diesem Beitrag.
Führungskräfte müssen zwar vieles wissen und kennen, aber nicht alles können. Entscheidungen „kraft Amtes“ von oben, die zudem ewig dauern, kann sich kein Unternehmen noch länger leisten. Ist das Geschehen rasant und komplex, werden Topdown-Dekrete ganz schnell zum Bremsklotz. Vormarsch, individualisierte Dienstleistungen und hohes Tempo sind nur dort machbar, wo zwischen Entscheidung und Umsetzung möglichst wenig Zeit vergeht.
Bei Spotify, dem größten Musik-Streaming-Dienst der Welt, sieht man das so: Ein guter Mitarbeiter trifft in 70 Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie sein Chef. Zu zehn Prozent liegt er daneben. In 20 Prozent fällt er bessere Entscheidungen, weil er näher dran ist und von einer Sache mehr Ahnung hat. Wer das Ohr ständig am Markt hat, hat zudem ein gutes Gespür dafür, was das nächste große Ding werden könnte.
In klassischen Organisationen hingegen werden größere Entscheidungen fast immer noch in die nächsthöheren Hierarchiestufen verlagert. Und bei inhabergeführten Unternehmen entscheidet meistens der Chef. Das ist, als ob der Trainer die Elfmeter schießen müsste. Um im Operativen beste Ergebnisse zu erlangen, sollte das Team die notwendigen Entscheidungen selbstbestimmt treffen. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip.
Über strategische und operative Entscheidungen
Geht es um operative Belange, kann ein Team darauf besser und vor allem auch schneller reagieren als ein Manager weit weg vom Schuss. Hochstrategische Entscheidungen sollten allerdings bei der Geschäftsführung zentralisiert sein. Solche Entscheidungen teilen fast immer zwei Merkmale:
- Seltenheit (z. B. internationale Expansionsvorhaben) und
- langfristiger Zeithorizont (z. B. die Wahl der Technologieplattform).
Die meisten Entscheidungen hingegen haben keine strategische, sondern eine operative Bedeutung. Merkmale dieser Art von Entscheidungen sind:
- hohe Frequenz (z. B. Bestellung von Büromaterial) und
- Dringlichkeit (z. B. Kundennotfälle).
In solchen Fällen sollten Entscheidungen im jeweiligen Team getroffen werden.
Ihre Mitarbeiter wollen aber gar nicht entscheiden? Oder sie können das nicht? Oh doch, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann schon. Natürlich wirft man niemanden ins kalte Wasser, der noch nicht schwimmen kann. Denn man muss üben, um zu brillieren. Beginnen Sie also mit kleinen Schritten. Und wählen Sie am Anfang Themen mit geringem Risiko. Bevor Entscheidungsprozesse komplett ins Team verlagert werden, muss man sich zudem mit der internen Fehlerkultur befassen.
Verfallen Sie nicht ins „Monkey Management“
Im Führungsverständnis von heute und einer guten Entscheidungskultur geht es also vor allem darum,
- gemeinsam getragene Entscheidungen herzustellen und
- operative Entscheidungen in die Teams zu verlagern.
Doch Rückfallpotenzial gibt es auch in modernen Unternehmen sehr oft. „Aber Chef, wie soll ich das denn jetzt machen?“ Führungskräfte, die das neue Denken fördern und fordern, fallen auf solch gespielte Hilflosigkeit nicht herein. Schon vor Jahren hat sich der Managementberater William Oncken unter mit dem Begriff Monkey Management damit befasst. Worum es geht?
Ein Mitarbeiter kommt mit seinem Anliegen zum Vorgesetzten, damit dieser für ihn eine Lösung findet. Schlau hat sich der „Affe“ herübergehangelt und beim Chef ein bequemes Plätzchen gefunden. Vergnügt tobt er mit all den anderen „Affen“ herum, die der Chef von den übrigen Mitarbeitern in Pflege genommen hat. An das Bewältigen eigener Arbeit ist bald nicht mehr zu denken. Okay, natürlich dürfen die Mitarbeiter mit ihrem „Affen“ zum Chef kommen, doch sie müssen ihn am Ende wieder mitnehmen.
„Was würde denn aus Ihrer Sicht die Situation verbessern?“ ist eine erste kluge Frage, die der Chef in einem solchen Fall stellt. „Was würden Sie denn tun, wenn es Ihr Unternehmen wäre?“, ist eine zweite. „Wen aus dem Kollegenkreis könnten Sie denn konsultieren, bevor sie entscheiden?“, eine dritte.
Alte und neue Methoden der Entscheidungsfindung
Um Entscheidungen herbeizuführen gibt es viele Mittel und Wege. Zwei konventionelle sind der Mehrheitsentscheid und der Konsensentscheid. Beim Mehrheitsentscheid wird eine Entscheidung nach einem vorgegebenen Mehrheitsschlüssel getroffen. Bis zu 49 Prozent aller Stimmen werden dabei verlieren. Viel Unzufriedenheit kann so entstehen und die Tragfähigkeit einer Entscheidung wird leicht unterminiert. Demgegenüber benötigt ein Konsensentscheid die ausdrückliche Zustimmung aller. Dem eilen oft lange Diskussionen voraus. Schließlich einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies ist wohl der schlechteste aller Wege in neuen Zeiten. So geht es besser:
- Der konsultative Einzelentscheid: Dies ist eine exzellente Methode, vor allem in selbstorganisierten Kontexten. Ziel ist es, die Expertise Dritter in seine Entscheidung miteinzubeziehen. So kann zum Beispiel bestimmt werden, dass, bevor eine Entscheidung getroffen wird, immer mindestens zwei sachkundige (!) Personen befragt werden müssen - und nicht etwa bequeme Kollegen. Dabei kann es sich um Personen innerhalb oder außerhalb der Firma handeln. Die Verantwortung, wie am Ende entschieden wird, verbleibt allerdings bei der entscheidenden Person oder Gruppe. So umgeht man langwierige Abstimmungsrunden, verbessert die Entscheidungsgrundlage, erhöht die Handlungssicherheit und beschleunigt die Umsetzungsgeschwindigkeit.
- Der Konsent-Entscheid: Mit dieser Methode können zähe Diskussionen oder wachsweiche Gruppenbeschlüsse vermieden werden. Nicht „Ja, ich stimme zu!“, sondern „Ich habe keinen schwerwiegenden, begründeten Einwand dagegen“, das ist ein Konsent-Entscheid. Es geht also nicht um ein Maximum an Zustimmung, sondern um eine Minimierung der Bedenken. Das heißt, man stützt sich auf Entscheidungen, die „gut genug“ sind, damit es zügig vorangeht. Dazu fragt man in etwa so: „Sieht jemand einen wichtigen Grund, weshalb dieser Vorschlag Schaden anrichten könnte?“ Zieht nun jemand die Veto-Karte ernster Bedenken, dann setzt man den Vorschlag nicht um. Am besten regen Sie an, damit gleich mal zu experimentieren - und zwar im Konsent-Format: „Lasst uns das doch mal einen Monat lang ausprobieren. Wenn es nicht funktioniert, schaffen wir es wieder ab. Hat jemand einen gravierenden Einwand dagegen?“
- Die Elfer-Skala: Dies ist eine Methode, die statt ausufernder Diskussionen einen zügigen Entscheidungsprozess in einer Gruppe oder in Meetings sichert und für gemeinsam getragene Entscheidungen sorgt. Die einzelnen Schritte (in Anlehnung an Richard Graf): Zunächst wird das Thema vorgestellt, zu dem eine Entscheidung ansteht. Danach ist Zeit für Verständnisfragen. Hiernach wird den Teilnehmern eine erste Bewertungsfrage gestellt: „Auf dieser Skala von 0 bis 10: Wie wichtig und dringlich ist dieses Thema für das Projekt/unser Unternehmen?“ Jeder entscheidet verdeckt. Danach werden stellvertretend je zwei Meinungen aus dem niedrigen (0 bis 4) und dem hohen Bewertungsbereich (6 bis 10) gehört. Es folgt eine Minute der stillen Besinnung. Hiernach gibt es eine zweite verdeckte Bewertung: die gleiche Frage auf einer neuen Skala. Liegen alle Bewertungen zwischen sieben und zehn, ist das Thema angenommen. Liegt eine darunter, kann die Konsent-Frage helfen.
Das Buch zum Thema Anne M. Schüller, Alex T. Steffen |