Holokratie: Übernehmen jetzt die Teams das Sagen in der Firma?
Mit der Digitalisierung verändern sich nicht nur die Arbeitsprozesse in den Unternehmen. Auch die Verantwortung verteilt sich auf immer mehr Schultern. Auf die Spitze treiben es innovative Firmen mit dem „Holokratie-Modell“, bei dem die Teams entscheidend im Weiterentwicklungsprozess des Unternehmens integriert werden. Was steckt dahinter und warum kann gerade das eine Antwort auf den Talentemangel sein?
Der Begriff des New-Work Ansatzes leitet sich aus dem Altgriechischen von „holos“ für „vollständig, ganz“ und „kratia“ für „Herrschaft“ ab. Gemeint ist also, dass die Entscheidungen nicht über Hierarchien nur bei einzelnen Personen liegen, sondern auf alle übertragen werden. Entwickelt wurde das Modell von Unternehmer Brian Robertson aus der US-Stadt Philadelphia. Robertson etablierte es vor rund 15 Jahren erstmals in seiner Firma „Ternary Software Corporation“.
Erste Pioniere in Deutschland setzen auf Holokratie
Inzwischen setzen nicht nur im Innovations-Vorreiterland USA mehr und mehr Unternehmern auf dieses radikal neue Organisations- und Führungsprinzip. Auch in Deutschland machen gerade digital affine Unternehmen wie die dc AG damit gute Erfahrungen und Schlagzeilen.
Die Digitalagentur aus dem oberfränkischen Kulmbach ist Arbeitgeber für mittlerweile mehr als 100 Marketing- und Digitalprofis und begleitet mittelständische Unternehmen in den Bereichen Development, Creation, E-Commerce, Online-Marketing und Consulting ins Web. Doch auch nach innen lebt dc AG seit Jahren Innovation vor – seit zwei Jahren mit dem Ansatz der Holokratie und zudem einem bewusst nachhaltigen Purpose.
Die jungen Talente wünschen sich Purpose und Mitspracherechte
Mit dem digitalen Zeitalter werden Begriffe wie Innovation oder New Work immer wichtiger für den wirtschaftlichen Erfolg – vor allem im Mittelstand. Nur so kann es gelingen, sich am Markt erfolgreich zu positionieren und sich langfristig einen wichtigen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.
Dazu gehört auch, den zahlenmäßig immer weniger werdenden Fachkräften und jungen Talenten in Deutschland etwas zu bieten, dass die Konkurrenz nicht bieten kann. Und das ist gerade nicht zwingend in erster Linie möglichst viel Geld.
Das ergab im späten Frühjahr 2022 etwa eine umfassende Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst &Young (EY) unter 18- bis 40-Jährigen. Rund drei von fünf Befragten gaben dabei an, dass für sie das Arbeitsklima im Team „wichtig“ bis „sehr wichtig“ sei.
„Angestellte, gerade jüngere Berufstätige, wollen sich heute häufiger ausprobieren", so das Fazit der Studienmacher bei EY. Unternehmen sollten deshalb auf die Situation ihrer Beschäftigten eingehen. Das bedeute: Flexibilität bei Entwicklungsmöglichkeiten, Arbeitsort und Privatleben. „Und darüber hinaus bedeutet es für die Unternehmen, dass eine positive Atmosphäre und Arbeitskultur immens wichtig sind, um gute Mitarbeiter zu halten – und neue zu gewinnen“, so EY.
Vorstandsvorsitzende mit „Ablaufdatum“?
Die dc AG hat diese Erkenntnis mit ihrem Holokratie-Ansatz schon vor rund zwei Jahren verinnerlicht und in die Praxis umgesetzt. Doch wie genau funktioniert das, wenn alle Verantwortung ans Team übergeht? „Dabei geht es um Regeln zur Führung mit dem Ziel, ein agiles Unternehmen zu kreieren. Zu diesen Regeln gehören etwa flache Hierarchien, Transparenz hinsichtlich der Unternehmens-KPIs gegenüber allen Mitarbeitern oder die Wahl der Führungskräfte. Aber auch Meeting-Techniken zählen zu den Regeln, also Techniken, wie man durch gute Organisation Meeting-Zeit spart“, sagt Geschäftsführer Tobias Langmeyer.
Manche Schritte sind durchaus radikal: So haben die Führungskräfte bei dc eine Art „Ablaufdatum“. Das bedeutet, dass ein Vorstand maximal 15 in dieser Position bleiben darf und sich frühzeitig Gedanken über die Nachfolge machen soll. Alle fünf Jahre folgen quasi „Neuwahlen“, Team-Leads können maximal fünfmal wiedergewählt werden.
Jeder mittelständische Unternehmer sollte sich über eine agile Organisationsform heute Gedanken machen, egal, ob über „Holocracy“ oder andere New-Work-Konzepte. Denn jeder freut sich, wenn interne Prozesse schneller und schlanker ablaufen und letztlich mehr Tempo ins Geschäft kommt. Langmeyer weiter: „Das gilt unabhängig davon, ob es sich um ein produzierendes oder im Handel tätiges Unternehmen handelt.“
Höhere Zufriedenheit, mehr Engagement und sinkende Wechselbereitschaft
Gerade für die (jüngeren) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden die Bestandteile von New Work Konzepten immer entscheidender bei der Wahl des Arbeitgebers. Dazu gehören beispielsweise Dinge, wie etwa die freie Wahl von Arbeitszeiten und Arbeitsort. Gerade in dynamisch wachsenden Bereichen wie dem E-Commerce oder auch dem Agenturgeschäft werden Arbeitgeber keine Chance am Markt haben, wenn sie sich diesen Trends verschließen. Darum ist Abwarten keine Option – Unternehmen sollten sich an Vorreitern wie der dc AG ein Beispiel nehmen und die sich bietenden Chancen am Schopfe packen. Das zahlt sich aus: Durch eine messbar höhere Zufriedenheit, ein höheres Engagement der Mitarbeitenden und einer sinkenden Wechselbereitschaft.
Zugegeben, nicht jede Organisationsform passt zu jedem Unternehmen. In einem Produktionsbetrieb mit Schichtbetrieb sind freie Arbeitszeiten oder Homeoffice eben schlecht möglich. Aber hier kann man die Mitarbeitenden mit größtmöglicher Transparenz hinsichtlich zu treffender Entscheidungen oder wichtiger Kennzahlen mitnehmen und hineinnehmen. Ohne solche Veränderungen kann man als Unternehmen auch nicht mehr wirklich mithalten, wenn man selbst an klassischen Organisationsmodellen festhält, während die Konkurrenz solch neue Formen anbietet.