Mobile Recruiting: Chance oder Risiko?
Ein Beitrag von Stefan Scheller
Unter dem Stichwort „Mobile Recruiting“ existieren derzeit auf dem Markt unterschiedlichste Lösungen. Die Frage ist, welche Möglichkeiten diese Art der Bewerberansprache bietet und ob es nicht ebenfalls Risiken gibt.
Mobile ist nicht gleich Mobile
Definitorisch gibt es im Bereich „Mobile Recruiting“ unterschiedliche Varianten. Die einfachste Variante ist die reine Optimierung von Karrierewebsites bzw. Stellenanzeigen für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets. Dieses responsive Verhalten, also die Anpassung der Websiteinhalte an die jeweilige Displaygröße des Mobilgerätes, erwarten rund 85% der Bewerber, wie eine Studie der Karriereplattform Absolventa belegte. Zudem bewertet Google derart mobiloptimierte Webseiten besser als solche, die nicht auf Smartphones richtig betrachtet werden können. Deswegen sollte ein Responsive Design von Webseiten auf jeden Fall realisiert werden.
Macht mobiles Bewerben überhaupt Sinn?
Richtig spannend wird es, wenn es um die zweite Stufe geht, die echte Bewerbung über das Mobilgerät. Berechtigterweise gibt Zweifel daran, ob es tatsächlich notwendig oder zumindest nützlich ist, dass Bewerbungsunterlagen mobil vom Bewerber an die Personaler im Unternehmen übertragen werden. Zwischenzeitlich nutzen über 40% der Studenten ein Smartphone bei der Jobsuche, und sind damit tendenziell „always on“. Aber müssen sie deswegen zu jeder Zeit und an jedem Ort in der Lage sein, sich zu bewerben?
Die Recruiter sind skeptisch
Anders gefragt: Ist es wirklich gewünscht, dass Bewerber mal eben einen Lebenslauf von der Bushaltestelle oder dem Biergarten aus absenden? Je nachdem, wem man diese Frage stellt, fällt die Antwort unterschiedlich aus. Werden Bewerber der Generation Y gefragt, ob sie es gut fänden, eine solche Möglichkeit zu bekommen, gehen die Daumen hoch. Fragt man hingegen Personaler, so brandet tendenziell eher Skepsis auf.
Insbesondere geht es um die Befürchtung der Personaler, dass sich Bewerber weniger Mühe mit ihrer Bewerbung geben, wenn sie die Unterlagen mal eben schnell via Smartphone übermitteln. Neben der fehlenden Mühe monieren die Recruiter bzw. die Fachbereiche das Fehlen aussagekräftiger individueller Anschreiben. Bekannterweise macht die Tipperei eines solchen auf einem Smartphone nicht wirklich Spaß und liefert daher vermeintlich qualitativ schlechtere Ergebnisse, als wenn ein Anschreiben in Ruhe am heimischen Notebook oder PC getippt würde.
Mobile „One Click“-Bewerbung
Noch problematischer wird die sogenannte „One Click“-Bewerbung von vielen Recruitern gesehen. Wo sie bei der mobilen Übersendung von Lebensläufen noch ein mit einer klassischen Bewerbung vergleichbares Informationsniveau über den Bewerber erreichen, kann sich dieser bei der One Click Bewerbung sprichwörtlich mit einem Klick „bewerben“.
Dies geschieht, indem er bei Anmeldung in einem sozialen Netzwerk, wie z.B. XING oder LinkedIn, den Personalern den Zugriff auf die dort hinterlegten Profilinformationen gestattet. Technisch wird dabei entweder ein Link zur Profilseite versandt oder die Daten aus dem Social Media Netzwerk exportiert und an die Recruiter übertragen – bestenfalls auch direkt in deren Online-Bewerbermanagementsystem importiert.
Danach liegt der Ball beim den einstellenden Personalern. Anhand der im Vergleich zur klassischen Bewerbung nochmals stark reduzierten Informationsmenge, müssen sie entscheiden, ob sie am Bewerber derart interessiert sind, dass sie ihn entweder gleich zu einem Kennenlernen einladen, weitere Unterlagen aktiv anfordern oder sofort eine Absage senden.
Dass eine solche Möglichkeit der mobilen Bewerbung zusätzlich zu einem rapiden Anstieg der eingehenden „Bewerbungen“ führt, ist nicht bewiesen und hängt wahrscheinlich stark vom jeweiligen Unternehmen ab.
Der Fachkräftemangel zwingt zum Umdenken
In einem etwas anderen Licht erscheint diese Fragestellung mit Blick auf den vieldiskutierten Fachkräftemangel. Die Ausgaben für Employer Branding und Personalmarketing-Aktivitäten der Unternehmen steigen in den letzten Jahren stetig an. Ist in diesem Zusammenhang das Aufbauen einer Hürde bei der Bewerbung von Kandidaten nicht eher kontraproduktiv? Sind es umgekehrt nicht sogar die innovativen und technikaffinen Bewerber, die sich solche Möglichkeiten wünschen und die die Unternehmen eigentlich zu rekrutieren suchen?
Der Weg zur Entscheidung
Wichtig für die Entscheidung, ob eine mobil optimierte Bewerbungsmöglichkeit geschaffen wird, ist die Frage, ob die jeweils zu rekrutierende Zielgruppe eine solche Möglichkeit fordert oder zumindest nutzen würde.
Ist dies der Fall, muss entschieden werden, ob eine One Click Bewerbung oder eine komplette Bewerbungsmöglichkeit implementiert werden soll. Zwischenzeitlich gibt es auf dem Markt auch komplette Apps, die den Prozess durchgängig via Cloud abwickeln. Dort speichern die Bewerber ihre Unterlagen und übertragen diese dann bei Bedarf mobil via Smartphone an die Unternehmen. Allerdings werden die Bewerber dadurch gezwungen, ihre Unterlagen an den App-Anbieter bzw. in dessen Cloud auszulagern. Das kann je nach Anbieter Datenschutzbedenken wecken.
Alternativ kann eine eigene Bewerbungs-App angeboten werden, was sich jedoch nur für sehr große Unternehmen lohnt. Trotzdem bleibt fraglich, ob Bewerber tatsächlich eine zusätzliche App eines einzigen Unternehmens herunterladen, nur um sich zu bewerben. Denn eigentlich sollte die mobile Lösung ja den Aufwand beim Bewerben reduzieren und nicht weiter verkomplizieren.
Professionalität gewinnt
Wie auch immer sich die Personalverantwortlichen entscheiden: Die angebotene bzw. nicht angebotene mobile Lösung gehört zur Visitenkarte des Unternehmens. Daher sollte die notwendige Professionalität gewahrt sein. Das bezieht sich auch auf die Frage, ob das Corporate Design des Unternehmens in der mobilen Variante entsprechend umgesetzt oder bewusst auf alle medialen Inhalte verzichtet wird. Letzteres optimiert Ladezeiten und hält die Mobillösung schlank.
Mobile Recruiting wird in den kommenden Jahren auf jeden Fall weiter an Bedeutung gewinnen. Wer jetzt einsteigt, kann sich noch positiv von der Masse abheben – vorausgesetzt die Lösung trifft die Bedarfe der Zielgruppe und ist professionell umgesetzt.
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