Stellen wir uns vor, wir beauftragen drei Projektteams mit exakt der gleichen Aufgabe. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass jedes dieser Projektteams die gleiche Lösung bietet? Genau! Die Wahrscheinlichkeit ist gleich null. Warum ist das so, obwohl die Aufgabenstellung doch die gleiche ist? Das liegt nicht an der Aufgabe, sondern an dem Denken und der unterschiedlichen Herangehensweise der Menschen, wie sie die Aufgabe lösen und Entscheidungen treffen. Das individuelle Denken der Mitarbeiter kann nicht von oben beeinflusst, verordnet oder verändert werden, die Herangehensweise hingegen schon. Die Methodik für (Problem-)Lösungen kann und muss systematisiert werden. Erster Schritt hierzu ist eine Analyse der grundsätzlichen Denkweisen im Unternehmen, um die hauptsächlichen Einflüsse zu erkennen. Im Management gibt es vier wesentliche Energien oder auch Rollen, die die Blickrichtung der Führungskräfte auf ein Problem beeinflussen und somit auch starken Einfluss auf die spätere Herangehensweise der Mitarbeiter an eine Aufgabenstellung haben:
1. Die Ergebnis-Rolle
Die erste wichtige Energie ist die Energie "E" wie Euro, Erfolg, Ergebnis: Das "E" in einem Unternehmen beantwortet immer die Frage, was können wir heute tun, damit wir sofort Geld verdienen? Führungskräfte mit dem "E"-Blickwinkel sehen ihre Aufgabe hauptsächlich darin, Ergebnisse zu produzieren, das Wich-tigste ist die Wertschöpfung und der Gewinn. Sie haben immer den Kunden im Auge und legen Wert auf Effektivität. "E"-Manager brauchen fundiertes Wissen über ihre Branche und sind kompetent. Damit der Ertrag stimmt, setzen sie ihre Ideen und Umstrukturierungen stringent durch. Sie sind Macher im täglichen Geschäft.
2. Die System-Rolle
Der zweite Typ Manager wird von der Energie angetrieben, die man mit "Systeme schaffen" umschreiben könnte. Die "S"-Rolle denkt in übergeordneten Systemen. Manager in der "S"-Rolle befassen sich damit, wie ein Unternehmen arbeiten muss, damit es effizient wird. Wichtig sind dabei standardisierte Regeln, die vorgeben, was getan werden muss. "S"-Führungskräfte beherr-schen das Administrieren und das strukturelle Denken. Sie können jede Situation so umwandeln, dass sie in das Schema eingeordnet werden kann und in den Routine-Ablauf des Unternehmens passt. Sie entwerfen Handlungsgerüste für ihre Mitarbeiter und behalten das System immer im Auge.
3. Die Vision-Rolle
Eine dritte starke Energie ist die Vision. Führungskräfte in der "V"-Rolle kann man als Entrepreneurs bezeichnen. Sie sind die klassischen Firmengründer mit neuen Ideen, mit denen sie die Welt verändern wollen. Die ersten Flugzeugbauer fallen unter diesen Typ: Idealistische Visionäre, die sich jetzt für die Zukunft positionieren, spontan handeln und die Ideen für Morgen im Auge haben. Sie befassen sich damit, wie sie sich heute positionieren müssen, um morgen richtig zu stehen. Sie sind die Vorreiter, die ihr neues Produkt oder ihre Dienstleistung in den Vordergrund stellen und von ihren Innovationen überzeugt sind.
4. Die Integration-Rolle
Die vierte Antriebsfeder ist die "I"-Rolle. Manager in der "I"-Rolle sind Seelsorger und von der Idee überzeugt, dass der Mensch das Wichtigste im Unternehmen ist. Das "I" in einem Unternehmen beantwortet immer die Frage, wie die Mitarbeiter miteinander und mit ihren Kunden umgehen. "I"-Führungskräfte legen ihr Hauptaugenmerk auf die menschliche Seite des Unternehmens. Ihre Denkweise könnte man so auf einen Nenner bringen: Geht es den Menschen gut, dann geht es dem Unternehmen gut. "I"-Manager legen sehr genau fest, wie wir miteinander (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten u.a.) umgehen sollen. Das Zwischenmenschliche ist von entscheidender Bedeutung.
Vier Energien und ihre Gefahren
Nur wenn diese Rollen in einem konstruktiven Konflikt sind, ist das Unternehmen auf einem gesunden Wachstumskurs. Dies erfolgt jedoch nur, wenn folgende drei Voraussetzungen, die ich gleich im Anschluss noch detailliert erläutern werde, gegeben sind:
- Gegenseitiger Respekt
- Gemeinsame Interessen
- Regeln sind wichtiger als der Mensch
Jede der vier Energien hat Vorteile, birgt aber auch Gefahren in sich: Ergebnis-Manager steigern schnell die Gewinne, haben dabei aber hauptsächlich die Gegenwart im Blick und weniger die Zukunft des Unternehmens. Unternehmer, die Systeme schaffen, geben ihren Mitarbeitern und Kunden Sicherheit durch Handlungskonstrukte, laufen aber Gefahr, dass daraus ein zu eng geschnürtes Korsett wird, welches die Kreativität im Keim erstickt. Visionäre und Vorreiter sind die treibende Kraft in der Entwicklung der Menschheit, von ihnen kommen die besten Innovationen. Aber ihr Denken ist nicht in der Gegenwart, sondern liegt pro-aktiv in der Zukunft. Das verführt zu Fehlern. Die Integrations-Manager schaffen ein gutes Betriebsklima als Voraussetzung für gesundes Wachstum, verwechseln aber unter Umständen laissez faire mit Integration und vernachlässigen manchmal den wirtschaftlichen Aspekt.
Konstruktiver Dialog der vier Energien
Nun gibt es in der Realität die vier Typen von Managern sowieso nicht in der Reinform, die meisten Führungskräfte sind zum Glück "Mischlinge". Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen verführen wollen, sollten die vier Energien in einen konstruktiven Dialog, in ein Miteinander, treten lassen. Wenn im Unternehmen diese vier Energien in einen kritischen Dialog miteinander stehen, dann besteht eine gute Chance auf Wachstum für das Unternehmen. Dann gelingt es Führungskräften, ihre Mitarbeiter dazu zu verführen, echte Leidenschaft für das Unternehmen zu entwickeln, weil sie ihre ursprünglichen Talente fördern können. Findet dieser kritische Dialog nicht statt, wird es sehr ruhig. Manager, die in der Ruhe die Lösung sehen, verkennen, dass in den ruhigen und geordneten Abteilungen oder Unternehmen gute Leute schon zu Staub und Asche geworden sind. Wo ist es in einer Stadt besonders ruhig? Genau, am Friedhof. Und genau dort befinden sich diejenigen Unternehmen, in denen der konstruktive Konflikt der Rollen nicht mehr gefördert wird.
Gegenseitiger Respekt
Natürlich ist dieser konstruktive Konflikt alleine nicht ausreichend. Dieser Konflikt und die daraus entstehenden Resultate können nur entstehen und zur Blüte kommen, wenn dies auf der Basis von gegenseitigem Respekt geschieht. Dies bedeutet also für jedes Unternehmen, dass die eigene Philosophie und der eigene Umgang mit sich und der Welt klar in einem Leitbild niedergeschrieben sein sollen und dies jeder Mitarbeiter in sein Handeln und Denken integriert. Jede Führungskraft sollte neben dem Unternehmensleitbild auch eine persönliche Führungsethik definiert haben. Darin bekennt sie sich schriftlich und eindeutig, wie sie dem Mitarbeiter begegnen will und was sie tut, um den konstruktiven Konflikt zu fördern und zu Ergebnissen zu kommen.
Gemeinsame Interessen
Ein weiterer wichtiger Punkt für den gemeinsamen Erfolg ist grundsätzlich, dass alle Mitarbeiter in einem Unternehmen die gleichen Interessen verfolgen. Gemeinsame Interessen bedeutet, dass alle Mitarbeiter die große Idee des Unternehmens tragen und es gleichzeitig als eine wichtige Aufgabe betrachten, die Interessen der Kunden zu erfüllen. Darüber hinaus sollen sie natürlich auch ihre individuellen Werte erfüllen können. Wenn ein Unternehmen aus Mitarbeitern besteht, die ausschließlich aus monetären Gründen zusammengefunden haben, kann man eigentlich auch von einer Söldnertruppe sprechen. In erfolgreichen Unternehmen ist es grundsätzlich so, dass neben den monetären Gründen eben auch die große gemeinsame Idee, der gegenseitige Respekt und das vernünftige Einhalten von definierten Regeln gleichberechtigt im Vordergrund stehen. Dass dies stattfinden kann, dafür hat die Führungskraft zu sorgen und ihre Mitarbeiter zu verführen, diesen Dialog mit zu gestalten.
Letztendlich liegt es immer an der Führungskraft, ob es ihr gelingt, ein Feld zu öffnen und individuelles Wachstum zu ermöglichen. Dies erfordert jedoch ein Know-how, das die Führungskraft in die Lage versetzt, einen anderen, wenn auch für die eigene Vorstellung völlig außergewöhnlichen, Blickwinkel einzunehmen. Aber was wissen die Führungskräfte heute meistens von ihren Mitarbeitern? Sind Führungskräfte überhaupt in der Lage, ihre Mitarbeiter als Menschen zu erkennen? Die menschliche Ohnmacht und Angst lässt die meisten Unternehmer daran scheitern. Sie kennen sich mit ihrem Handy besser aus als mit sich selbst, ihren Mitarbeitern, oder – generell – dem Mensch als Individuum. Deshalb können sie auch kaum verführen.
Nur wenn die Führungskraft den Mut hat, ihr eigenes bisher gewohntes und gelerntes Verhalten infrage zu stellen und mit außergewöhnlichen Betrachtungsweisen den eigenen Horizont zu erweitern, wird sie in der Lage sein, die Mitarbeiter zu ebenso außergewöhnlichen Leistungen zu verführen. Dann kann sie die Mitarbeiter und sich selbst in einem definierten Umfeld und zum Besten des Ganzen zufrieden stellen und daraus die bestmögliche Leistung generieren. Ziel muss es also sein, mit unterschiedlichsten Methoden ein möglichst zusammenhängendes Menschenbild zu bekommen und die Denk- und Handlungsweisen anderer Menschen zu verstehen, zu akzeptieren und schlau zu integrieren.