Bei einem Arbeitsunfall greift grundsätzlich die gesetzliche Unfallversicherung und der Arbeitnehmer kann Sach- und Geldleistungen beanspruchen.
Erst Verlassen des Vorgesetzten beendet Betriebsveranstaltung
Ein Arbeitnehmer war im Kultur- und Sportamt einer Stadt beschäftigt. Er nahm – wie seine Kollegen und der Amtsleiter – an einer Weihnachtsfeier der Abteilung teil. Gegen 01:20 Uhr hatte die Mehrheit der Mitarbeiter die Feier bereits verlassen und es waren nur noch der betroffene Arbeitnehmer, der Amtsleiter und die Betreiber des Restaurants anwesend. Gegen 03:15 Uhr stürzte der erheblich alkoholisierte Arbeitnehmer in dem Restaurant von einer Treppe und zog sich dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu. Die Berufsgenossenschaft wollte keinerlei Leistungen übernehmen, da kein Arbeitsunfall vorliege. Der Sturz sei nämlich erst nach Ende der versicherten betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung passiert. Die Weihnachtsfeier sei bereits 2 Stunden vorher beendet gewesen, als der Großteil der Mitarbeiter gegangen sei, begründete die Genossenschaft die Leistungsverweigerung.
Das Gericht bewertete den Sachverhalt anders. Die Berufsgenossenschaft müsse den Sturz des Arbeitnehmers als Arbeitsunfall anerkennen. Eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung sei erst dann beendet, wenn sie von vornherein nur bis zu einer bestimmten Uhrzeit angesetzt war oder vom verantwortlichen Vorgesetzten für beendet erklärt wird. Dies war hier nicht der Fall, denn der Vorgesetzte war noch anwesend.
SG Frankfurt, Urteil vom 24.01.2006, Az.: S 10 U 2623/03
Alkoholisierung beeinflusst den Versicherungsschutz nicht
Die Sozialgerichte (SG) gehen bei ihren Entscheidungen von einem Arbeitsunfall aus, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Es handelt sich überhaupt um einen Unfall (plötzlich eintretendes schädigendes Ereignis – im Gegensatz zur Berufskrankheit).
- Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und dem Unfall.
- Der eingetretene Schaden wurde durch den Unfall verursacht.
Dabei sind nicht nur Unfälle während der Arbeit versichert, sondern auch Unglücksfälle bei betrieblichen Veranstaltungen und Betriebsausflügen. Eine Weihnachtsfeier stellt eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung dar, die grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Voraussetzungen sind aber:
- Die Veranstaltung dient der Pflege der Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft sowie der Betriebsangehörigen untereinander.
- Sie steht allen Betriebsangehörigen offen.
- Sie wird von der Unternehmensleitung selbst veranstaltet oder zumindest gebilligt oder gefördert. Es genügt, wenn die Vorgesetzten die Durchführung der Feier genehmigen und später als Verantwortliche daran teilnehmen.
Der Versicherungsschutz endet mit Beendigung der Feier. Dieser Zeitpunkt ist dann gegeben, wenn der verantwortliche Vorgesetzte die Feier ausdrücklich oder zumindest erkennbar beendet (den Mitarbeitern wird mitgeteilt, dass der Betrieb die Verzehrkosten nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt übernimmt).
Praxistipp
Der Unfallversicherungsschutz entfällt auch nicht deshalb, weil Arbeitnehmer (in Maßen – kein Vollrausch) auf einer Feier Alkohol zu sich nehmen. Denn wenn der Arbeitgeber nicht vorher ein Alkoholverbot ausgesprochen hat, ist es allgemein üblich, dass auf Weihnachtsfeiern Alkohol getrunken wird.
Versicherte Tätigkeiten – Hier zahlt die Berufsgenossenschaft
Auch wenn es Arbeitsunfall heißt, die gesetzliche Unfallversicherung zahlt nicht nur, wenn ein Unfall direkt bei der Arbeit passiert. Auch folgende Tätigkeiten sind grundsätzlich versichert:
- Betriebssport, wenn
er geeignet ist, die durch die berufliche Tätigkeit bedingte körperliche, geistige und seelische Belastung auszugleichen,
er regelmäßig stattfindet, der Teilnehmerkreis im Wesentlichen aus Betriebsangehörigen besteht,
die Übungszeit und -dauer im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit steht und
er unternehmensbezogen organisiert ist. - berufliche Aus- und Fortbildungsveranstaltungen (Schulungen/Seminare
- Dienst- und Geschäftsreisen (nicht aber die dortige Freizeitgestaltung
- Betriebswege
Nicht versichert sind
- Betriebssportvereine, die an einem normalen Wettkampfbetrieb teilnehmen,
- Handlungen im Vollrausch,
- der Weg zum Bier holen während der Arbeitszeit,
- Messerstecherei zwischen Arbeitskollegen am Arbeitsplatz.
Wichtiger Hinweis
Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeitsstätte (Wegeunfall) sind keine Arbeitsunfälle, werden aber trotzdem von der Unfallversicherung erfasst. Gleiches gilt für Berufskrankheiten.
Dr. jur. Reinhard Hildebrandt
berät seit vielen Jahren Betriebsräte und Arbeitnehmer in allen Fragen des Arbeitsrechts. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Beratung bei Kündigungen, Aufhebungsvereinbarungen und Abfindungsverhandlungen.