Ambitionierte, ehrgeizige Menschen bleiben oft bis spät in die Nacht wach, wollen aber gleichzeitig als »früher Vogel« den »Wurm fangen«. Das offensichtliche Opfer dieser Praxis: der Schlaf.
Als Redakteur von netzwertig.com habe ich täglich Mailkontakt mit Startup-Gründern. Nicht selten erreichen mich dabei Antworten mitten in der Nacht. Vor einigen Tagen hatte ich gegen 3:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit einen längeren Austausch mit einem Jungunternehmer. Kurz darauf akzeptierte ein anderer Startup-Macher meine LinkedIn-Anfrage zu einer ähnlichen Zeit.
Bei beiden Personen weiß ich mit Sicherheit, dass sie sich tatsächlich in Europa befanden. Anders als ich, denn ich verweile momentan in den USA und bemerke sofort, wenn ich zu »Unzeiten« per Mail Informationen zu einem neuen Internetdienst einholen kann (worüber ich mich freilich nicht beklage).
Diese Erlebnisse passen in das altbekannte Bild dieser Branche: Wer ein eigenes Unternehmen in einem Wachstumssektor wie Technologie und Internet gründet, der muss sich auf ausgedehnte Arbeitszeiten und reduzierten Schlaf einstellen. Damit aber verstoßen die Entrepreneure im Prinzip gegen alle Faustregeln des produktiven Arbeitens. Wer sich überarbeitet und noch dazu unter chronischem Schlafmangel leidet, der kann kaum Bestleistung liefern - glaubt Forbes-Autor Michael Thomsen. Er sieht einen klaren Zusammenhang zwischen den schlechten Schlafgewohnheiten von Startup-Machern und der hohen Zahl an gescheiterten Projekten.
Ein großes Problem sind die konträren Erkenntnisse, die sich aus Studien, Feldexperimenten und dem Blick auf die Schlafzeiten erfolgreicher Persönlichkeiten ziehen lassen. Einerseits herrscht unter Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten ein gewisser Konsens darüber, dass ein Schlafpensum von unter sieben Stunden auf Dauer eher schädliche Auswirkungen hat . Andererseits kommen Untersuchungen zu dem Schluss , dass intelligente Menschen später ins Bett gehen als weniger intelligente. Gleichzeitig ist von ausgewiesenen Erfolgsmenschen immer wieder zu hören, wie früh sie am Morgen das Bett verlassen. Das Sprichwort »Der frühe Vogel fängt den Wurm« verfestigt diese Paradigma.
Kurzum: Sowohl die nach hinten verlegte Schlafenszeit als auch das frühzeitige Aufstehen wird zelebriert.
Der Konflikt liegt auf der Hand: Einerseits spricht alles dafür, dass man als Voraussetzung für ein gesundes, langes Leben unbedingt mindestens sieben Stunden pro Tag schlafen sollte. Gleichzeitig aber tendieren »Aktivlinge« dazu, spät ins Bett zu gehen und vor allen anderen schon wieder auf den Beinen zu sein.
Die augenscheinlich einzige Lösung wäre es, mittags ein zwei- bis dreistündiges Nickerchen einzulegen. Doch für wie viele ehrgeizige Unternehmer von aufstrebenden Internet-Firmen ist dies täglich eine praktikable Option?
Auch wenn diese Form des fragmentierten Schlafens laut Überlieferungen von einigen bekannten Personen der Geschichte praktiziert wurde, etwa von Leonardo da Vinci , zeigt eine Analyse der Schlafgewohnheiten von 27 brillanten Köpfen der Zeitgeschichte eher konservative Schlafmuster: Die Mehrzahl ging zwischen 22:00 und Mitternacht ins Bett und begann zwischen 5:00 und 8:00 Uhr den neuen Tag.
Einerseits sind Schlafbedürfnisse natürlich sehr individuell. Andererseits aber existieren gewisse biologische Grundbedürfnisse des Körpers, die, wenn lange Zeit unbefriedigt, ihre Spuren hinterlassen. So lange aber Politiker und Wirtschaftsbosse bei kritischen Verhandlungen die Nacht zum Tag machen und aufstrebende Google-Manager bis zu 130 Stunden die Woche arbeiten und dann am Tisch einschlafen , wird die gesellschaftliche Stigmatisierung des ausreichendes Schlafs als »Luxusgut«, das sich im Bedarfsfall leicht wegpriorisieren lässt, nicht verschwinden.
Foto: Flickr/timothykrause , CC BY 2.0