Der "Woodpecker", so nach seinem nervigen, wie ein Specht klopfenden Störsignal genannt, war eine große Plage im Kurzwellen-Amateurfunk der 80er-Jahre. Was genau dahintersteckte, war damals nicht bekannt und ebensowenig, was ihn schließlich Ende 1989 zum Verstummen brachte. Heute kann man jedoch seine Überreste besichtigen.
Ab 1976, in voller Ausprägung ab 1982, kam ein nerviges, wie ein Specht (engl.: Woodpecker) klingendes Störsignal auf die Kurzwelle. Kurzwellen-Radiohörer und Funkamateure litten sehr unter den "Woodpecker"-Störungen und einige Hersteller von Funkgeräte bauten in ihre Geräte sogar spezielle Filterschaltungen gegen diesen elektronischen Schädling ein.
Was genau dahinterstand, war unbekannt, aber aufgrund der Peilungen, die auf die Ukraine als Standort hindeuteten, bald angenommen, dass die UdSSR Urheber der Störungen war. Vom absichtlichen Stören unerwünschter Rundfunksendungen über gezielte Hirnerweichung durch akustischen Psychoterror bis zu neuen militärischen E-Waffen reichten die wilden Spekulationen.
Überhorizont-Radar mit 10 MW ERP
Eine gewollte Störung des Rundfunks schied insofern aus, als Radio Moskau ebenso von den Woodpecker-Störungen betroffen war wie westliche Sendungen. Die anderen Vermutungen waren ebenso daneben. Um etwas Militärisches handelte es sich bei der Anlage allerdings tatsächlich, nämlich um ein Überhorizont-Radar, das eben diesen Blick über den Horizont dadurch erreicht, dass es wie in der Anfangszeit der Radartechnik auf Kurzwelle sendete statt im sonst üblichen Millimeterwellenbereich.
Die NATO hatte die Anlagen natürlich längst identifiziert und fotografiert, sie führte sie unter dem Namen "Steel Yard". Das sowjetische Militär nutzte den Namen "Duga" für die Überhorizont-Anlagen. Die Zivilbevölkerung in Ost und West erfuhr hiervon jedoch vor dem Ende der UdSSR nichts.
Die Wellen der Überhorizont-Radare werden an der Ionosphäre reflektiert und damit erweitert sich ihr Sichtfeld - doch ebenso die Reichweite der von ihnen erzeugten Störungen. Der "Woodpecker" erreichte mit bis zu 10 MW ERP 15.000 km. Da für ein "scharfes" Bild kurze Impulse gesendet werden müssen, diese jedoch eine hohe Bandbreite belegen, ist den Störungen dieser Radaranlagen durch Frequenzwechsel nicht zu entkommen. Die "Woodpecker"-Anlagen standen in der UdSSR. Sie sollten anfliegende Atomraketen aus Amerika und Europa frühzeitig entdecken können. Sie waren jedoch nicht imstande, einzelne Raketen zu erkennen, nur ganze Gruppen von ihnen. Mit dem Ende des kalten Krieges und der Fortentwicklung der Satellitentechnik, die besser für derartige Frühwarnsysteme geeignet ist, wurden sie größtenteils abgeschaltet und abgebaut.
Einige derartige Radaranlagen sind zum Leidwesen der Funkamateure heute noch aktiv; Heutige Überhorizont-Kurzwellenradare versuchen mit Spread-Spektrum-Technik (Intrapulsmodulation und Rauschmodulation) die extremen Störungen der klassischen harten Impulse zu reduzieren. Dennoch stören unter anderem die NATO-Radare auf Zypern auf 10,13 und 18,13 MHz mit einer Bandbreite von 40 kHz und chinesische Anlagen auf den Frequenzen 6,93 bis 7,1 MHz sowie das iranische Überhorizontradar bei 28,5 MHz den Amateurfunk.
Direktanschluss ans Atomkraftwerk
Die letzte, 1970 begonnene Ausbaustufe des Duga-Radars, nutzte wie schon die Vorgänger getrennte Sende und Empfangsanlagen. Ein Abstand von 60 km verhinderte das Zustopfen der Empfänger durch die Sendeimpulse. Eine Empfangsanlage war jedoch weniger als 10 km vom Atomkraftwerk Tschernobyl aufgebaut und wurde direkt von diesem mit einer Hochspannungsleitung versorgt. Der Grund für diese Konstellation: Die Empfänger und Computer, die zur Sicherheit gegen die bei Atombombenexplosionen entstehenden extremen Überspannungen teils in Röhrentechnik und mit der für die damalige Zeit sehr hohen Rechenleistung von über einem MFLOP arbeiteten, benötigten so hohe Energiemengen zum Betrieb, dass der Aufbau der Anlage in Kraftwerksnähe ratsam schien.
Nachdem der Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl nach nur drei Jahren Betriebszeit infolge Fehlbedienung 1986 explodiert war, ließ sich die Radarempfangsanlage nicht mehr von jener anderen Strahlungsart reinigen, die über die ganze Gegend und halb Europa niedergegangen war. Die Anlage wurde deshalb 1988 abgeschaltet und die Elektronik an andere Standorte verlegt oder geplündert. Ein Abbau der Antenne war jedoch infolge der Verstrahlung unwirtschaftlich - ein einfaches Sprengen der Masten schied wegen der hohen Radioaktivität im Boden und den Masten selbst als Option aus - und sie blieb bis auf einige kleinere Demontagen bis heute stehen.
Wegen Strahlenbelastung nicht demontierbar
Die beiden in der Nähe von Pripyat und dem AKW Tschernobyl stehenden Antennenarrays sind 146 und 90 m hoch und das größere 750 m breit. Die zylindrischen Elemente, die teils abmontiert wurden, sind die Strahler, der Rest ist Reflektor. Dies dürfte wohl eine der wenigen Funkanlagen sein, deren Außerbetriebnahme Funkamateure erfreut…
Zusätzlich gab es noch den "Kreis", ein Array aus zweimal 120 einzelnen, 10 Meter hohen Antennen, die im Kreis angeordnet waren. Das Empfangsgebäude im Zentrum trug eine weitere Antenne. Hiermit wurde wohl die Ionosphäre untersucht, um die Sendefrequenzen für die Duga-Anlage zu bestimmen. Die Antennen im "Kreis" erinnern an den DEFA-Film "Der schweigende Stern" nach dem Buch von Stanislaw Lem.
Inzwischen kann die Gegend um das Atomkraftwerk Tschernobyl besichtigt werden. Die Ukraine kann die Einnahmen aus dieser Art "Tourismus" gut gebrauchen. Andre Friesen , der regelmäßig Touren in diese Region organisiert, und von dem die hier zu sehenden Bilder stammen, ist dabei auch auf die Antennenanlage gestiegen - die Videos sind sehenswert, allerdings für nicht Schwindelfreie anstrengend anzusehen. Wer Interesse hat, kann sich selbst an einer der Touren beteiligen.